Außerordentliche, aber realistische Kehrtwenden aus dem menschengemachten planetaren Notstand in eine lebenswerte Zukunft. 50 Jahre nach „Grenzen des Wachstums“ schreiben WissenschaftlerInnen des Club of Rome einen Survivalguide für unseren geschundenen und vollkommen überlasteten Planeten. Die Zeit ist allerdings knapp. Dennoch sind die Expert*innen zuversichtlich, dass sich mit einer umfassenden systemischen Transformation ein gerechteres, nachhaltigeres und resilienteres globales System installieren lässt, um den Kollaps abzuwenden.
Die Autor*innen halten sich nicht lange bei der desaströsen gegenwärtige Lage auf. Denn die kritischen Punkte sind bekannt: Armut, Hunger, Ungleichheit, Klimakrise, industrielle Agrarindustrie, die die Natur zerstört, Lebensmittel, die uns nicht gut tun, und permanente Überschreitung planetarer Grenzen. Das Buch zeigt Lösungen für einen kollektiven Sprung in der Menschheitsentwicklung auf, „die nicht die Welt kosten“. Vielmehr haben die Wissenschaftler*innen die „vielversprechendsten Wege aus diesen Notsituationen“ entwickelt und zeigen Möglichkeiten auf, mit denen humanitärer, sozialer, ökologischer und ökonomischer Nutzen für alle erreicht werden kann.
Das Earth4All-Modell
Die Transformationen hin zu einer Erde für Alle sollen aus einer wertschätzenden Haltung gegenüber zukünftigen Generationen geschehen. Das von renommierten Expert*innen entworfene Earth4All-Modell bietet ein Experimentierfeld und die Möglichkeit, Szenarien für das Erreichen von Gerechtigkeit und Wohlstand auf globaler Ebene zu modellieren und zu bewerten. Gegenübergestellt werden die fatalen Auswirkungen des „Weiter-so“ (Too Little Too Late), bei denen das Überschreiten von Kipppunkten, Ökosystemen und Klima irreversible Schäden zufügt sowie soziale Konflikte verschärft. Auf der anderen Seite steht der mutige „Giant Leap“ (Großer Sprung), der fünf außerordentliche Kehrtwenden erfordert: Beendigung der Armut, Beseitigung der Ungleichheit, Empowerment der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und saubere Energie.
Zahlreiche positive Wechselwirkungen ergeben sich aus den fünf Kehrtwenden. Earth4All Grafik Screenshot
Ist der Gordische Knoten zu lösen?
Nur fünf Aufgaben bzw. Kehrtwenden - vergleichsweise wenig, könnte man denken. Und, alle Punkte stehen praktisch bereits auf der globalen politischen Agenda, den Sustainable Deveolpment Goals der UN (SDGs). Doch hinter jedem einzelnen Thema verbirgt sich ein komplexes Geflecht aus Abhängigkeiten und Verknüpfungen, deren Auflösung eine schier unlösbare sein dürfte, doch ist die Notwendigkeit und Dringlichkeit indiskutabel.
Wie realistisch sind die Szenarien des Earth4All-Modells? Die Autor*innen geben zu, dass auch sie - trotzt relativ guter Datenlage - die Ereignisse der Zukunft nicht hochrechnen und prognostizieren können, doch sei das Modell durchaus in der Lage, Trends in wichtigen Systemvariablen zu identifizieren und einzuschätzen. Reduziert auf wenige Punkte lautet das Ergebnis: „Die Welt bewegt sich auf eine weniger stabile und damit weniger vorhersehbare Zukunft zu.“ Und: Das Giant-Leap-Szenario zeigt „einen möglichen Weg auf, der global zu einem gesteigerten Wohlergehen führt, … statt zum Zusammenbruch.“
Weg vom Überkonsum!
Wann, wenn nicht jetzt!
In den folgenden Kapiteln führen die Autor*innen anhand von fiktiven und konkreten Beispielen und Daten aus, wie und unter welchen Voraussetzungen das Giant Leap- Modell in einem Zeitraum von 2030 bis 2050 eine Wende bewirken könnte. In Kapitel 6 beispielsweise geht es um „Die Ernährungskehrtwende - ein gesundes Ernährungssystem für Mensch und Planet“. Die Rettung liegt in ökologischen, regenerativen Kreislaufsystemen: Was letztendlich auch heißt: „Wir müssen mit weniger auskommen“ - keine Ausweitung der Nahrungsmittelproduktion, weg vom Überkonsum.
Die Landwirtschaft muss statt CO2 zu produzieren, sich zur CO2-Senke wandeln und lokaler produzieren. Die Böden müssen regeneriert, der Artenschwund gestoppt und die Biodiversität wiederhergestellt werden. Die Stärkung der Resilienz der Meere und Gewässer werden als weitere zielführende Maßnahmen genannt. Ziel ist, 80% der landwirtschaftlichen Flächen bis 2050 umgestellt zu haben. Gleichzeitig ist die Umstellung der Ernährung ein wichtiger Hebel. Die Planetary Health Diet reduziert den Konsum tierischer Lebensmittel und bringt mehr Pflanzen und Ballaststoffe auf den Speiseplan, was für eine Entlastung des Planeten ebenso sorgt wie für die Vermeidung von Millionen ernährungsbedingter Todesfälle. Von Vertretern der Ernährungswende schon seit Jahren gefordert, ist die Eindämmung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung (Food Waste) ein wirksames Mittel.
Wichtige Vertreterinnen der Bio- und Nachhaltigkeitsbewegung - Christine von Weizsäcker, Vandana Shiva, Ana Digòn und Janet Maro - diskutierten über bewährte Praktiken und allgemeine Ideen der biologischen, regenerativen und nachhaltigen Landwirtschaft und wie diese lokalisiert werden können. (World Organic Forum 2022)
Fazit und Aufruf zum Handeln
Wenn einer der weltweit wichtigsten Think Tanks zum sofortigen und mutigen Handeln aufruft, um unseren Planeten zu retten, dann haben die Expert*innen des Club of Rome mit Sicherheit allen Grund dazu. Obwohl damit eine Mammut-Aufgabe mit großen Hindernissen und Riesenherausforderungen bevorsteht, betonen sie im Verlauf des Buches immer wieder, dass es möglich ist und welchen überlebensnotwendigen Gewinn die Rückgewinnung eines lebenswerten Planeten für die Menschheit darstellt. Deshalb die dringende Forderung an Politik und Gesellschaft, an jeden einzelnen von uns, sich einzubringen für eine „Earth for All.“
Earth for All
erschienen im oekom verlag im September 2022
ISBN: 978-3-96238-387-9, EUR 25, Weitere Infos: www.oekom.de Softcover, 256 Seiten, Autor*innen: Sandrine Dixson-Declève, Owen Gaffney, Jayati Ghosh, Jürgen Randers, Johan Rockström, Per Espen Stoknes übersetzt von Barbara Steckhan, Rita Seuß
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