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Entwurf der EU-Kommission zur Neuen Gentechnik stellt Verursacherprinzip auf den Kopf

Aktualisiert: 21. Juni 2023

Schon länger ist die Sorge in der Bio-Branche groß, denn die bisher bekannt gewordenen Pläne EU-Kommission zur Lockerung des europäischen Gentechnikrechts verheißen nichts Gutes. Das hat sich nun im Vorschlag der für Gesundheit zuständigen Kommissarin Stella Kyriakides bestätigt, der jedoch noch nicht vom Kabinett aller Kommissare beschlossen wurde. Die deutschen Bio-Spitzenverbände BÖLW und BNN sowie EU-Parlamentarier Martin Häusling informieren über den Entwurf und kritisieren ihn heftig: Die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Sicherung des Vorsorgeprinzips werden durch das U-Boot der “conventional-like“ Gentechnik-Pflanzen mit Füßen getreten! Bürgerinnen und Bürger, Bäuerinnen und Bauern würden komplett für dumm verkauft."(Tina Andres, BÖLW)

Neue Gentechnik ist Gentechnik (Bilddatenbank WIX)

Martin Häusling MEP: Deregulierung der Gentechnik ist eine katastrophale Rezeptur für Mensch, Land und Natur

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses, kommentiert: „Dieser Vorschlag darf nicht zum Gesetzesvorschlag werden!“ Die im Leak vom 5.Juni angedachten Deregulierungsbestrebungen sind in ihren Auswirkungen katastrophal und rundheraus abzulehnen. Häusling führt folgende Gründe auf:

KRITIK: In weiten Teilen des Vorschlags folgt die EU-Kommission zu 100 Prozent der Rhetorik der Gentec-Lobby, indem sie die Annahme der Gleichwertigkeit bestimmter gentechnisch veränderter Pflanzen zu konventionell gezüchteten oder sogar zu natürlichen Pflanzen als mögliche Option für den Verzicht auf Zulassungsverfahren und Kennzeichnung voraussetzt. Solche Pflanzen sollen völlig von Risiko-Evaluierung, Nachverfolgung und Kennzeichnung ausgenommen werden. Zahlreiche Wissenschaftler und zahlreiche Forschungsprojekte zeigen, dass diese Annahme wissenschaftlich nicht haltbar ist. Jeder direkte Eingriff in das Genom einer Pflanze kann unvorhergesehene Auswirkungen haben und birgt ein viel höheres Risiko als konventionelle Züchtung. Dies wurde schon mehrfach dokumentiert, heißt es in der Pressemitteilung von Häusling.

Außerdem wird damit die in Europa nach dem Vorsorgeprinzip verankerte Prozesskontrolle verlassen, die allen horizontalen Regelungen der Lebensmittelkette zugrunde liegt und es wird zum US-amerikanischen Prinzip der Endproduktkontrolle übergegangen. Das widerspricht völlig den EU-Verträgen.

Gleichzeitig betont die Kommission, dass auch diese nicht gekennzeichneten Pflanzen im Ökolandbau verboten sein sollen. Wie das ohne Kennzeichnung und Nachverfolgung gehen soll, sagt die Kommission nicht. Schlimmer noch: Die Hersteller sind nicht einmal verpflichtet, Nachweismethoden bereit zu stellen.

Für die Verbraucher brächte dieser Regelungskahlschlag größtmögliche Intransparenz und Null-Wahlfreiheit. Für die Ökobranche wäre es ein vorsätzlich herbei geführter Genickbruch. Die Kommission setzt noch einen drauf und nimmt die 2015 eingeführte „Opt-Out“-Regelung zurück, die den Mitgliedstaaten ermöglichte, nationale Verbote für bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen zu erlassen.

Martin Häusling


Willkürliche Einstufung folgt den Wünschen der Gentec-Industrie

Der abgestimmte Entwurf soll voraussichtlich im Juli offiziell vorgestellt werden. Soweit bekannt, sollen bestimmte Pflanzen, deren Erbgut durch neue gentechnische Verfahren wie beispielsweise CRISPR/CAS verändert wurden, in Zukunft nicht mehr unter das Gentechnikrecht fallen. Dem Vorschlag der Kommissarin Stella Kyriakides zufolge sollen

Pflanzen, die mit neuen Gentechniken entwickelt werden, künftig in zwei verschiedene Kategorien eingestuft werden:  

Kategorie 1:

NGT-Pflanzen, die angeblich „gleichwertig“ zu konventionellen Pflanzen sein sollen und KEIN Zulassungsverfahren und damit auch keine Risikoprüfung (mehr) durchlaufen müssen, sie müssen nur „angemeldet“ werden.

Diese Pflanzen und ihre Produkte werden in der Wertschöpfungskette (und damit auch am Endprodukt) auch nicht mehr gekennzeichnet. Nur das Saatgut muss als „NGT“ gekennzeichnet werden.

KRITIK: Angesichts der sehr breit gewählten Kriterien für die Einstufung in diese Kategorie kann/muss davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der künftigen NGT-Pflanzen in diese Kategorie fallen wird.  Die Kriterien für die „Gleichwertigkeit“ (Zahl der veränderten Basenpaare in der DNA o. ä.) sind aber nicht wissenschaftlich begründbar, weil die Art der Veränderung (z. B. Toxin-Produktion o. ä.) keine Rolle spielt. 

Kategorie 2: 

Alle anderen NGT-Pflanzen sollen ein „angepasstes“ Zulassungsverfahren inkl. Risikoprüfung durchlaufen und werden auch weiterhin als Gentechnik-Produkte gekennzeichnet. Allerdings sind im Vergleich zum bisherigen Verfahren „Erleichterungen“ vorgesehen. Grundsätzlich soll eine umfassende Risikobewertung nur erforderlich sein, wenn es vorab „plausible Hinweise“ auf Risiken gibt (Anhang II). Dabei wird im Verordnungstext allerdings nur auf die konkret „beabsichtigten“ Veränderungen abgestellt.

KRITIK: Mögliche „unbeabsichtigte“ Veränderungen in Genom oder Stoffwechsel würden damit gar nicht mehr untersucht werden, obwohl erfahrungsgemäß gerade aus ihnen Gefahren für Mensch oder Umwelt entstehen können.

Das Monitoring möglicher Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit wird deutlich reduziert.

Auch die im bisherigen Gentechnikrecht verankerte Pflicht zur Vorlage eines praxistauglichen Nachweisverfahrens soll für NGT-Pflanzen entfallen können, wenn der Antragsteller „belegen“ kann, dass ein derartiger Nachweis technisch nicht möglich sei. 

Insgesamt würde es nach diesem Vorschlag also künftig drei unterschiedliche Gentechnik-Regelungen im Bereich Land- und Lebensmittelwirtschaft geben: 

  1. Die bisherigen Regeln für „alte“ Gentechnik mit Fremd-Genen („Transgenesis“) 

  2. Regelungen für NGT-Pflanzen der Kategorie I 

  3. Regelungen für NGT-Pflanzen der Kategorie II 

Für die Land- und Lebensmittelwirtschaft ist das ein bürokratischer Alptraum, kritisiert der BÖLW. In der ökologischen Produktion sollen alle drei Kategorien von Pflanzen/Produkten (weiterhin) ausgeschlossen/verboten sein (Artikel 5). 

Kein „Opt-out“: Anders als bei bisherigen GVO sieht der Vorschlag vor, dass die EU-Staaten auf ihrem Gebiet den Anbau oder die Verwendung von NGT-Pflanzen nicht einschränken oder verbieten dürfen, die sogenannte „Opt-Out Option“ soll also für die neuen GVO nicht gelten (Artikel 8) .

Züchtung wird künftig komplett ins Labor verlagert? (Bilddatenbank WIX)

Koexistenzregelungen, Rückverfolgbarkeit und Transparenz - abgeschafft

Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) e.V.kommentiert den Entwurf: „Die EU-Kommission erkennt zwar an, dass auch Neue Gentechnik in der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft verboten bleiben muss. Jedoch schlägt sie vor, den dafür notwendigen Schutz aus bisher geltenden Koexistenzregelungen, Rückverfolgbarkeit und Transparenz abzuschaffen. In der Konsequenz würde das für die Unternehmen der Bio-Branche einen deutlich höheren Aufwand in der Sicherung der Qualität von Bio-Lebensmitteln bedeuten. Zudem erhöht sich dadurch die Gefahr der Kontamination von Bio-Produkten mit neuer Gentechnik aus der konventionellen Landwirtschaft. Dies stellt das Verursacherprinzip auf den Kopf. Es kann nicht sein, dass gerade die Unternehmen, die versuchen Neue Gentechnik zu vermeiden, die Kosten für die Gewährleistung der Gentechnikfreiheit ihrer Produkte zu tragen haben."

Neue Gentechnik macht die Land- und Lebensmittelwirtschaft nicht nachhaltiger. Es geht um das Anbausystem und nicht um einzelne Merkmale von Pflanzen. Der Ökolandbau ist das einzig funktionierende System für eine nachhaltige Land- und Lebensmittelwirtschaft. Jede zusätzliche Belastung der Bio-Land- und Lebensmittelwirtschaft gefährdet den dringend notwendigen Umbau hin zu mehr Nachhaltigkeit und der Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise und auch das Ziel der Bundesregierung von 30 Prozent Bio.“

Kathrin Jäckel, BNN

Der BNN hat mit der Verabschiedung einer Resolution auf dessen Mitgliederversammlung 2023 noch einmal deutlich Position gegen eine Deregulierung des Gentechnikrechts bezogen.

Neue Gentechnik macht die Land- und Lebensmittelwirtschaft nicht nachhaltiger. (Bilddatenbank WIX)

Ohrfeige für Verbraucherschutz und Wahlfreiheit

Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbandes Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) erklärt: “Der Gentechnik-Gesetzentwurf ist eine Ohrfeige für Verbraucherschutz und Wahlfreiheit und treibt Bauern durch Patente in die Abhängigkeit von Gentechnikkonzernen. Der Großteil aller künftig mit Gentechnik manipulierten Pflanzen soll nach dem Vorschlag der EU-Kommission weder auf Risiken geprüft noch am Endprodukt gekennzeichnet werden. Einzig auf der Saatgut-Ebene soll es eine Deklaration geben. Die Entscheidungskriterien, nach denen künftig zwischen den zwei verschiedenen Kategorien von Gentechnikpflanzen (mit oder ohne Zulassungsverfahren) unterschieden werden soll, sind völlig willkürlich gewählt. Damit würde sich die EU-Kommission von der seit Jahrzehnten etablierten wissenschaftsbasierten Zulassung verabschieden.

Gentechnik widerspricht den Grundprinzipien von Bio.

Zwar erkennt die EU-Kommission dies an. Allerdings fehlen Vorschläge, mit denen dieser Ausschluss praktisch umgesetzt werden kann. Es soll auch keine EU-weit gültigen Vorgaben für den Schutz gegen Gentechnik-Kontaminationen, sogenannte „Koexistenzregeln“, geben, sondern diese Verantwortung wird auf die EU-Mitgliedstaaten abgeschoben. Gleichzeitig soll mit dem Gesetzentwurf deren Souveränität untergraben werden: Die nationalen Regierungen sollen die Freisetzung neuer Gentechnik-Organismen grundsätzlich nicht unterbinden dürfen.

Damit ist völlig unklar, wie Bio-Höfe überhaupt erkennen könnten, ob in der Region Gentechnik-Anbau betrieben wird, wo Kontaminationsrisiken bestehen und mit welchen

– eventuell gemeinsam genutzten – Maschinen Gentechnik-Ware in Berührung kommt oder in welchen Verarbeitungs- und Handelsunternehmen die Gentechnik-Erzeugnisse genutzt und somit Bio-Lebensmittel verunreinigen können.“

"Die EU-Kommission muss diesen unausgegorenen und Verbraucher-feindlichen Vorschlag jetzt unbedingt zurückziehen und grundlegend überarbeiten, Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Europa, über 80 Prozent, will keine Gentechnik auf dem Teller oder auf dem Acker – vor allem aber wollen die Menschen selbst entscheiden dürfen, was sie essen! Die jetzt vorgelegten „Nicht-Regeln“ würden langfristig alle Beteiligten in Züchtung, Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Handel und die Verbraucherinnen und Verbraucher zwingen, Gentechnik zu nutzen, zu verspeisen und zudem unwiederbringlich in die Abhängigkeiten von Patenten großer Agrarkonzerne treiben."
Tina Andres, BÖLW

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Auch der Europäische Gerichtshof betonte in seiner Grundsatzentscheidung sehr deutlich, dass und warum eine konsequente Regulierung von Gentechnik unverzichtbar ist.

Die EU-Kommissarinnen und Kommissare müssen sich jetzt entscheiden, ob sie ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern gerecht werden oder sich zum Büttel einer kleinen, lauten Lobby aus Gentechnik-Konzernen und Gentechnik-Forschenden machen wollen.

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