top of page
AutorenbildBiO ReporterIn

Fällt der EU-Pestizidreduktionsplan SUR?

Die Zeit läuft! Bereits am 10.12. könnte in einer Sitzung des EU-Agrarministerrats entschieden werden, ob der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 um 50 % zu reduzieren, umgesetzt wird. Während Ende September im EU-Agrarministerrat eine Gruppe von zehn Mitgliedstaaten (Österreich, Bulgarien, Estland, Ungarn, Lettland, Malta, Polen, Rumänien, Slowakei und Slowenien) in einem gemeinsamen Non-Paper eine (überflüssige, Anm. der Autorin) "ergänzende Folgenabschätzung" (“Impact Assessment”) zum Gesetzesvorschlag der EU–Pestizidreduktion gefordert hatte, ist der Kreis der Blockierer seitdem beträchtlich gewachsen. Dabei ist es höchste Zeit und wird von vielen Umweltorganisationen und Verbauchern in der EU schon lange gefordert, Risiko-Pestizide zu zu reduzieren bzw.zu verbieten. Die Zusammenfassung der Situation aus Sicht von Wissenschaft, Verbänden und NGO`s im Artikel, der Link zum Video-Mitschnitt der Pressekonferenz am 6.12. hier (in englischer Sprache)

Foto: GLOBAL 2000

Verpasste Chance: Der Agrarministerrat könnte SUR zu Fall bringen

Einsatz und Risiko von Pestiziden sollen mit dem Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission um 50 % reduziert werden, so der Plan der EU-Kommission, der nach der Präsentation im März dieses Jahres noch überwiegende Zustimmung erfuhr. Das hat sich im . Im EU-Agrarministerrat am 26. September 2022 hatte eine Gruppe von zehn Mitgliedstaaten (Österreich, Bulgarien, Estland, Ungarn, Lettland, Malta, Polen, Rumänien, Slowakei und Slowenien) in einem gemeinsamen Non-Paper eine "ergänzende Folgenabschätzung" (“Impact Assessment”) zum Gesetzesvorschlag der EU–Pestizidreduktion gefordert. Der Kreis der Blockierer wuchs seitdem beträchtlich: Einem GLOBAL 2000 vorliegenden nicht-öffentlichen Protokoll zufolge, ist die Zahl der Mitgliedstaaten, die die Forderung nach einer weiteren Folgenabschätzung unterstützen, inzwischen auf 17 gestiegen. Neu hinzugekommen sind Italien, Litauen, Finnland, Portugal, Luxemburg, Irland und Griechenland. Eine Minderheit der Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Spanien, Schweden und Zypern) lehnt eine weitere Folgenabschätzung klar ab.


Auf einer Online-Pressekonferenz am 6. Dezember wurde mitgeteilt, dass die Ministervertreter in Brüssel voraussichtlich bereits am kommenden Samstag endgültig über einen Plan abstimmen werden, die Kommission um eine zusätzliche "Folgenabschätzung" zu bitten. Die Verzögerung bedeutet, dass die Gesetzgebung möglicherweise nicht vor den nächsten Europawahlen verabschiedet wird und dann "tot" wäre, so anonyme Diplomaten. Die Kommission hat Berichten zufolge bereits angeboten, den Schutz sensibler sozialer Gruppen und ökologischer Lebensräume zu verwässern, um den Ministern entgegenzukommen.

Auf der Pressekonferenz forderten Wissenschaftler, Vertreter der Kleinbauern und der ökologischen Landwirtschaft sowie die Initiatoren der erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative "Rettet die Bienen und die Landwirte" die EU-Regierungen auf, zügig und konstruktiv über den Gesetzesvorschlag zu verhandeln, ohne eine weitere Folgenabschätzung zu verlangen.

Screenshot der Teilnehmer der Pressekonferenz (ca 100)

Kritiker schützen Interessen der Agrarindustrie

Einem GLOBAL 2000 vorliegenden nicht-öffentlichen Protokoll zufolge, ist die Zahl der Mitgliedstaaten, die die Forderung nach einer weiteren Folgenabschätzung unterstützen, inzwischen auf 17 gestiegen. Neu hinzugekommen sind Italien, Litauen, Finnland, Portugal, Luxemburg, Irland und Griechenland. Eine Minderheit der Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Spanien, Schweden und Zypern) lehnt eine weitere Folgenabschätzung klar ab.

Status of requirements, table by GLOBAL 2000


“Einige Agrarminister:innen – leider auch der von Österreich – scheinen auf das Prinzip 'Paralyse durch Analyse' zu setzen, um die Pestizidreduktionspläne der EU-Kommission zu Fall zu bringen”, warnt Helmut Burtscher-Schaden, Mit-Initiator der EBI “Bienen und Bauern retten” und Biochemiker von GLOBAL 2000. ”Denn klar ist, dass der Erkenntnisgewinn einer solchen Folgenabschätzung äußerst fraglich ist. Die vorgeschlagenen Fragen sind einseitig und klammern erwartbare positive Effekte auf Gesundheit und Umwelt ebenso aus, wie die hinreichend belegten negativen Effekte, falls Pestizide weiterhin in gleichbleibender Intensität eingesetzt werden”, so Burtscher-Schaden weiter.


Widerstand der Wissenschaft

Die Kritiker:innen der EU-Pestizidreduktionspläne hatten sich bereits im März dieses Jahres unter Hinweis auf den Krieg in der Ukraine für eine Aussetzung der Farm-to-Fork-Strategie ausgesprochen und damit den heftigen Widerstand von über 660 Wissenschaftler:innen auf sich gezogen.

Josef Settele, Co-Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrates und Erstunterzeichner des Briefes der Wissenschaftler:innen, erklärt: "Dieser Appell hat auch heute noch volle Gültigkeit. Die derzeitigen politischen Bestrebungen, die Nachhaltigkeitsziele des Europäischen Green Deal, einschließlich der Reduzierung des Pestizideinsatzes und der Wiederherstellung der biologischen Vielfalt, aufzugeben, schützen uns nicht vor der aktuellen Krise, sondern führen zu einer Verschärfung und machen die Krise dauerhaft. Schon jetzt beeinträchtigen die globale Erwärmung und der Verlust der biologischen Vielfalt die Ernteerträge und Lebensgrundlagen weltweit.

Das Zeitfenster, in dem wir durch entschlossenes und gezieltes Handeln eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten sichern können, schließt sich schnell. Wenn wir es heute nicht schaffen, die notwendige Umgestaltung unseres Lebensmittelsystems einzuleiten, wie sie in der Farm to Fork-Strategie skizziert ist, wird sich die Situation erheblich verschlechtern."

Josef Settele, World Biodiversity Council)



Für Bio-Bauern und Bio-Bäuerinnen ist die Pestizidreduktion enorm wichtig

Jan Plagge, Präsident von Organics Europe: "Mehr als dreihunderttausend Biobauern in ganz Europa beweisen jeden Tag, dass der ökologische Landbau und andere agrarökologische Praktiken, bei denen keine synthetischen Düngemittel und Pestizide verwendet werden, zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beitragen und gleichzeitig gesunde Lebensmittel in bester Qualität und ausreichender Menge liefern können. Damit das so bleibt, müssen wir unsere Ökosysteme schützen.

Die Verringerung des Einsatzes chemisch-synthetischer Pestizide und die Erhöhung der landwirtschaftlichen Vielfalt sind unerlässlich, um die natürlichen Ressourcen zu schützen, auf die wir für die Erzeugung unserer Lebensmittel angewiesen sind. IFOAM Organics Europe ruft daher alle Mitgliedstaaten auf, weiterhin konstruktiv an der EU-Pestizidreduktion (SUR) zu arbeiten.”

Jan Plagge, President of IFOAM Organics Europe


Hubert Heigl, Vorstand Landwirtschaft des Bio-Spitzenverbands Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft BÖLW kommentiert: „Der massive Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide ist mitverantwortlich für das dramatische Artensterben in den Agrarlandschaften. Das Ziel der EU-Kommission, bis 2030 Menge und Risiko der ausgebrachten Mittel um 50 Prozent zu reduzieren, ist ein wichtiger erster Schritt für den Artenschutz. Bio-Bäuerinnen und -Bauern setzen keine synthetischen Düngemittel oder Pestizide ein. Herbizide („Unkrautvernichtungsmittel“) sind grundsätzlich tabu. Auf über 95 Prozent der Biofläche werden überhaupt keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Dort sorgen Bio-Landwirte mit vielfältigen Fruchtfolgen, robusten Pflanzensorten und nicht-chemischen Pflanzenschutzmethoden für gesunde Bio-Pflanzen.

EU-Kommission und Regierende in Bund und Ländern erkennen die Bedeutung des Öko-Landbaus als Lösungsinstrument zur Stärkung der Biodiversität an. Europaweit soll die Öko-Fläche auf 25 Prozent erhöht werden, in Deutschland auf 30 Prozent. Das rettet nicht nur Insekten, Blütenpflanzen, Wildpilze, Vögel, Säugetiere usw., sondern gibt auch hunderttausenden von Bauernfamilien und -höfen eine Zukunftsperspektive.

Hubert Heigl, Vorstand Landwirtschaft des Bio-Spitzenverbands Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft BÖLW

Der BÖLW erwarte von der Bundesregierung und den Abgeordneten im Europaparlament, dass sie sich mit Nachdruck für die Weiterverhandlung der SUR mit ambitionierten und verbindlichen Regelungen einsetzen und ein Aufschieben oder Verhindern nicht zulassen. Der Öko-Landbau zeigt schon jetzt, wie eine deutliche und dauerhafte Pflanzenschutzmittelreduktion in der Landwirtschaft funktionieren könnte. Deshalb muss die neue Verordnung zur Erreichung des Ziels von 25 Prozent Ökolandbau in der EU beitragen.

Was überhaupt nicht geht: "Schmutzige Tauschhandel, wo Reduktionen bei Pestiziden gegen die Abschaffung von Risikoprüfung und Wahlfreiheit bei der Gentechnik verdealt werden. Dagegen müssen sich Bundesregierung und EU-Abgeordnete entschieden zur Wehr setzen!“

(Hintergrund siehe unten*)

Ramona Duminicioiu von Eco Ruralis, der rumänischen Kleinbäuer:innen-Vereinigung, die über 17.000 Landwirt:innen vertritt, berichtet: "Rumänien ist ein Land der Kleinbäuer:innen. Mehr als 4 Millionen Menschen sind in der Landwirtschaft tätig, aber mehr als 90 % der Landwirte bewirtschaften weniger als 5 Hektar.


"Wir sind sicher, dass eine möglichst strenge Regulierung aller chemischen Betriebsmittel in der Landwirtschaft für kleine und mittlere Erzeuger eine sehr positive Entwicklung ist. Die Pestizidreduktion trägt auch dazu bei, die Produktionskosten zu senken, was in der derzeitigen Krise von entscheidender Bedeutung ist. Sie trägt zur Gesundheit der Umwelt, der Verbraucher:innen und der Menschen bei, die mit diesen giftigen Stoffen arbeiten oder in direkten Kontakt kommen. Wir sind in der Lage, alle notwendigen Lebensmittel und sogar bessere Lebensmittel zu produzieren, ohne die hohen Kosten für Chemikalien zu tragen.”

Ramona Duminicioiu from Eco Ruralis association


*Mehr Informationen: Laut Presseberichten brachte die EU-Kommission im Austausch für eine Zustimmung zur SUR nun eine Deregulierung von Gentechniken wie CRISPR-Cas ins Spiel. Die bisher vorgeschriebene Prüfung von Risiken für Mensch und Umwelt würde dann reduziert oder ganz aufgehoben; außerdem wären Produkte, die mit diesen Techniken erzeugt wurden, nicht mehr als Gentechnik-Produkte gekennzeichnet. Akteure aus Züchtung, Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und -handel und damit auch Verbraucherinnen und Verbraucher könnten somit nicht mehr selbst entscheiden, ob sie solche Produkte verwenden oder essen wollen.

Weitere Informationen zur Gesunderhaltung von Pflanzen im Ökolandbau finden Sie hier: Öko-Pflanzengesundheit | Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (boelw.de)




Autorin: Karin Heinze, BiO Reporter International, basierend auf Presseinformationen von GLOBAL 2000, BÖLW und der Pressekonferenz




60 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page