In seinem Anfang August 2019 veröffentlichten Bericht, warnt der Weltklimarat der Vereinten Nationen IPCC, (https://www.ipcc.ch/report/srccl) vor den massiven Auswirkungen der Klimakrise auf die Land- und Forstwirtschaft. Gleichzeitig macht der Report deutlich, dass Ackerbau, Tierhaltung und Forstwirtschaft massiv zur globalen Erdüberhitzung beitragen. Die Forderung: Diese Wirtschaftsbereiche müssen endlich Verantwortung übernehmen und eine Veränderung einleiten, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.
Prof. Dr. Andreas Gattinger, Agrar- und Bodenwissenschaftler, hat sich schon während seines Studiums, dann als Leiter des Themengebiets Klimaforschung beim Forschungsinstitut Biologischer Landbau FiBL und in vielen nationalen und internationalen Projekten mit dem Klima beschäftigt. Insbesondere forscht er zur Klimarelevanz des Ökologischen Landbaus und anderen Bewirtschaftungssystemen.
Als Bio-Bauer auf dem elterlichen Betrieb, den er 2006 umgestellt hat, ist er ganz praktisch mit den drängenden Fragen des Klimawandels konfrontiert. Dort wie als Professor für Ökologischen Landbau mit dem Schwerpunkt nachhaltige Bodennutzung an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und als wissenschaftlicher Leiter des Lehr- und Versuchsbetriebs Gladbacherhof, der JLU versucht er, Lösungen zu entwickeln.
Herr Professor Gattinger, in aller Welt wie auch in Deutschland erleben wir, vor allem in den vergangenen Jahren, die bedrohlichen Auswirkungen des Klimawandels, der schneller voranschreitet, als erwartet und prognostiziert.
Land- und Forstwirtschaft tragen zu einem Viertel zu den menschengemachten klimaschädlichen Emissionen bei. Diese haben sich global in den letzten 50 Jahren fast verdoppelt. Hauptverantwortlich dafür sind intensive Tierhaltung - inklusive Ressourcen verschwendender Futtermittelproduktion - sowie die Herstellung und übermäßige Anwendung von Stickstoffdüngern. Trägt der Ökolandbau, im Vergleich dazu, wesentlich weniger zum CO2-Ausstoß bei oder liefert er gar Lösungen, um die Klimaziele von Paris zu erreichen?
Prof. Dr. Andreas Gattinger: Auch Bio-Rinder emittieren klimaschädliche Gase, vor allem CH4 (Methan). Das ist ein ganz natürlicher Prozess. Die Schädlichkeit für unser Klima ist eine Frage der Emissionsmenge und ob an anderer Stelle des Systems „Tierische Lebensmittel“ Treibhausgasminderungs- bzw. Kompensationsmöglichkeiten bestehen. Hier bringt das ganzheitliche Konzept des Ökolandbaus, im Vergleich zur konventionellen, industriellen Landwirtschaft deutliche Vorteile. Klimaschonende Faktoren sind die strikte Anpassung des Tierbesatzes an die Betriebsfläche und im Pflanzenbau der konsequente Einsatz von CO2-bindender Gründüngung mit stickstoffproduzierenden Leguminosen sowie der Aufbau von Humus. Im Thünen Report 65 des Bundesforschungsinstituts für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Johann Heinrich von Thünen-Institut, haben wir das genauer berechnet und daraus geht auch hervor, dass die deutsche Landwirtschaft pro Jahr aktuell rund 66 Millionen Tonnen CO2-Äquvalente emittiert. Darin ist die energieaufwändige Produktion von Stickstoffdünger noch nicht einmal eingerechnet. Gemäß unserer Meta-Studien würde bei 100% Ökolandbau weitgehend der komplette Treibhausgasaustoß der landwirtschaftlichen Böden vermindert werden, was ca. 25 Millionen Tonnen CO2-Aquivalente pro Jahr entspricht! Das ist eine gewaltige Einsparung. Einziger Nachteil: Die Produktionsmenge von Nahrungsmitteln dürfte um ein Viertel bis ein Fünftel zurückgehen. Doch dafür gibt es Lösungen.
Es wird viel über eine Agrarwende gesprochen. Welche Lösungen sehen Sie, um die rückläufigen Erntemengen, die wachsende Weltbevölkerung und die Wende zu einer nachhaltigen Landwirtschaft in Einklang zu bringen?
Ja, es wird ja viel von der Agrarwende gesprochen. Doch die allein reicht nicht, das ist klar. Unbedingt korrespondierend dazu brauchen wir auch eine Ernährungswende, da die landwirtschaftliche Produktion Teil eines übergeordneten Ernährungssystem ist. Jeder von uns muss seine Ernährungsgewohnheiten hinterfragen. Unsere Ernährung muss stärker Pflanzen basiert werden. Weltweit gesehen nimmt jedoch der Fleischkonsum zu und wir wenden 2/3 des Pflanzenertrags für die Nutztierhaltung auf, anstelle die Pflanzen direkt zu essen. Wir müssen nicht gleich alle Veganer werden. Wiederkäuer sind wichtig für die Landwirtschaft, als effiziente Veredler des Grünlands, Lieferanten von tierischem Eiweiß in der Ernährung, aber auch von natürlichem Dünger und für die Landschaftspflege. Doch wir dürfen Tiere nicht in industriellen Haltungssystemen missbrauchen. Das ist nicht nur schädlich für unser Klima, sondern auch unethisch. Von den rund 5 Milliarden Hektar Agrarfläche weltweit, sind 3,5 Mrd. Hektar Dauergrünland, die nicht in direkter Konkurrenz zur Erzeugung menschlicher Nahrung stehen, 1,5 Milliarden Hektar sind Ackerfläche. Wenn wir diese Flächen klüger und effizienter nutzen, dienen wir der Decarbonisierung. Würden wir Wiederkäuer aus dem Dauergrünland ernähren und Schweine sowie Geflügel wieder in gesundem Maße als Resteverwerter halten, könnten wir eine große Menge CO2 der anvisierten 50% einsparen (Pariser Klimaabkommen). Das würde nicht nur dazu führen, dass wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad eindämmen können, sondern auch einen gesünderen Lebensstil pflegen. Andere Aspekte wie das Tierwohl würden sich auf absehbare Zeit vielleicht sogar von selbst lösen. Wir müssen die gesamte Landwirtschaft ökologisieren und viel stärker auf Gemeinwohl ausrichten.
Tatsache ist, dass wir den globalen Klimawandel auch global betrachten müssen. Sie haben viel im Ausland gearbeitet. Wie differenziert müssen wir die verschiedenen Ökosysteme betrachten und welche Maßnahmen der biologischen Wirtschaftsweise bringen messbare Reduzierungen der klimaschädlichen, hohen CO2-Konzentration und damit eine Entlastung für die Erdüberhitzung?
Natürlich müssen wir die Praktiken bzw. Konzepte nachhaltiger Landwirtschaft an die Klimazonen und Böden, an landwirtschaftliche Traditionen, Ernährungsgewohnheiten und andere lokale Vor-aussetzungen anpassen. In Bezug auf die Landwirtschaft ist es außerordentlich wichtig, aus einem ganzheitlichen Systemansatz heraus zu agieren, der immer einen ganzen Strauß von Maßnahmen für den Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel berücksichtigt. Dazu zählen, neben der Kompostwirtschaft und dem Humusaufbau durch intensiv wurzelnden Pflanzen, auch Biodiversität, Tierwohl und soziale Gerechtigkeit. Es ist gar nicht so schwierig, Ressourcen schonend zu arbeiten. Die Problematik liegt eher in den Traditionen und Ernährungsgewohnheiten, die häufig in Konkurrenz zu nachhaltiger Ressourcennutzung stehen. Hier sind intelligente und vor allem überzeugende Modelle gefragt. Gute Beispiele gibt es in aller Welt genug: Die leider verstorbene Kenianerin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Wangari Maathai hat z.B. dafür gesorgt, dass millionenfach Bäume gepflanzt wurden (http://www.fembio.org) der Schweizer Ernst Götsch setzt sich in Brasilien und anderswo für skalierbare, praxisreife Permakultursysteme ein ( https://www.youtube.com/watch?v=gSPNRu4ZPvE) oder Geoff Lawton für das Modell Food Forest (https://www.youtube.com/watch?v=hCJfSYZqZ0Y ). Namhafte Forschungsinstitutionen wie FiBL, Rodale, sowie verschiedene Universitäten forschen z.T. auch im Verbund mit Praxisbetrieben zu diesen zukunftsweisenden ökologischen Systemen. Dazu gehört auch ein entschlossener Umbau und die Stabilsierung der Wälder, als auch die ausgeräumten Agrarlandschaften wieder mit Bäumen, Hecken, Gehölzinseln und Biotopen zu beleben, auch Streuobstwiesen zählen dazu. Aufforstung im Waldbau und die Agroforstwirtschaft im Landbau haben das Potenzial mehr als alle anderen agronomischen Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Atmosphäre Richtung Klimaneutralität beizutragen.
Worin liegen die größten Herausforderungen, den immer schneller fortschreitenden Klimawandel aufzuhalten?
Es ist allerhöchste Zeit zu agieren! Dazu müssen erst einmal alle Akteure anerkennen, dass der Klimawandel menschengemacht ist und sich nicht natürlich wieder beheben wird. Analysiert sind die Klimasünden zur Genüge, unter den Wissenschaftler besteht ein großer Konsens, und es gibt eine Menge Vorschläge, wie wir dem Klimawandel begegnen können. Aus meiner Sicht müssen wir dabei die Klimagerechtigkeit weit oben auf der Agenda ansiedeln. Länder, die am meisten emittieren - das sind in erste Linie die Industrienationen - müssen auch den größten Beitrag leisten und zwar in finanzieller Hinsicht als auch beim Schonen der Ressourcen. Diese Verantwortung in der Politik und in jedem Einzelnen von uns zu verankern ist eine Herausforderung ebenso wie der Weg von dem Anerkennen der Tatsachen zum möglichst schnellen Handeln. Dass Länder wie Mali oder Zimbabwe, deren Emissionen im Promillebereich liegen, nicht viel zur Beseitigung des Klimadesasters beitragen können, ist einleuchtend. Zudem sind viele dieser Länder die Leidtragenden. Sie sind den Effekten des Klimawandels wie Wirbelstürmen, Trockenheit oder Starkregen und Überschwemmungen meist schutzlos ausgeliefert. Das darf die Weltgemeinschaft nicht länger so hinnehmen.
Welche kurz- und mittelfristig umsetzbaren Maßnahmen schlagen Sie vor?
Wir müssen unsere Emissionen um mindestens 50% reduzieren, um die Marke von 1,5 Grad des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, besser wäre sogar eine Klimaneutralität bis 2050. Das ist erwiesenermaßen möglich. Schon die Ausweitung des Ökolandbaus auf 20-25% der Fläche in den Industrieländern würde - wie wir gesehen haben - viel dazu betragen. Ist der politische Wille da sowie entsprechende Anreize, kämen wir kurzfristig dem Ziel des CO2-Einsparens ein ganzes Stück näher, bzw. sollten es bis spätestens 2030 erreichen können, wenn wir den Ausbau des Ökolandbaus konsequent verfolgen. Neben der Ausweitung des Ökolandbaus muss auf globaler Ebene die Ökologisierung des gesamten Agrar- und Ernährungssektor vorangetrieben werden. Insbesondere könnte hier die Ergänzung des Systems Ökolandbau durch weitere Faktoren aus dem ganzheitlichen Konzept der Bio-Bewegung sowie der Regenerativen Landwirtschaft, der Agroforstwirtschaft und der Permakultur mittelfristig hinzukommen.
Alles, was dem Boden guttut, ist unser Kapital gegen den Klimawandel: Humusaufbau, Mulchverfahren, der Einsatz von Kompost und Pflanzenkohle leisten einen wichtigen Beitrag zur CO2-Bindung. Aber auch die Digitalisierung in der Landwirtschaft macht Sinn: Smart Farming mit GPS-gesteuerten Traktoren hilft Ressourcen und dadurch Emissionen sparen so wie die effizientere Fütterung von Tieren.
Ausschlaggebend ist, dass so schnell wie möglich etwas passiert!
Das Interview führte Karin Heinze, BiO Reporter International
Vita
Andreas Gattinger geb. 7.9.1965 in Selters (Hessen)
Lehre als Chemielaborant
Studium der Agrarwissenschaften und des Öko-Landbaus an den Universitäten Kassel-Witzenhausen und Aberdeen
Promotion an der TU Weihenstephan zum Thema Methanbildung in Böden
1997 - 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helmholtz Zentrum für Umwelt und Gesundheit
2007-2010 Projektmanager bei einem Start-up in Frankfurt, mit Konzepten zur Verbesserung der Wasserspeicherung in Wüstengebieten
Von 2010 bis 2017 Leiter des Themengebiets Klimaforschung am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick (Schweiz) und Frankfurt und als Dozent an der Uni Basel.
2015 Habilitation an der Justus-Liebig-Universität Gießen
Zahlreiche internationale und nationale Forschungsprojekte zu Klimaschutz und Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel.
Seit April 2017 Professor für ökologischen Landbau mit dem Schwerpunkt nachhaltige Bodennutzung an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Wissenschaftlicher Leiter des Lehr- und Versuchsbetriebs Gladbacherhof der Justus-Liebig-Universität Gießen. Forschungsschwerpunkte sind die Nachhaltigkeit ökologischer Boden-Pflanzen-Tier-Systeme sowie die Struktur und Funktion mikrobieller Lebensgemeinschaften.
Über 70 begutachtete Publikationen in internationalen Fachzeitschriften u.a. PNAS, Global Change Biology, ISME Journal. Mitautor des Reports des Thüneninstituts Leistungen des ökologischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft“. (https://www.thuenen.de/de/infothek/publikationen/thuenen-report/)
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