Im vierten Interview zum Biofach-Schwerpunktthema, die ökologische Transformation gemeinsam mit vielen Interessengruppen weltweit zu gestalten - "Shaping Transformation. Stronger.Together." - sprachen wir mit Tina Andres, Vorstand der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft (EVG) Landwege eG über Transformation im regionalen Kontext. Gemeinsam mit engagierten Bio-Betrieben aus der Umgebung von Lübeck, Genossenschaftsmitgliedern und über 100 Mitarbeitern in fünf Landwege-Märkten wird hier Transformation gelebt und gestaltet. Auch im Biofach Newsroom
Das Interview führte Karin Heinze, BiO Reporter International.
Tina Andres, Vorstand der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft (EVG) Landwege eG // © Tina Andres
Frau Andres, gut 30 Jahre reichen die ersten Wurzeln der EVG Landwege zurück. Könnte man Landwege als regionale Transformationsbewegung bezeichnen?
Tina Andres: Ja, absolut.
Unser Ansatz Öko-Landbau, bäuerliche Strukturen und soziale Arbeitsplätze zu fördern, zielt auf ökologische Transformation. Landwege war von Anfang an als Transformationsbewegung gedacht.
Kunden sehen uns in erster Linie als Bio-Händler. Aber die Selbstwahrnehmung der Genossenschaftsmitglieder, unsere Anliegen und Ziele gehen weit darüber hinaus.
Landwege ist ja als Nachwirkung eines Zeitenbebens – so wie wir es gerade auch mit der Pandemie erleben – entstanden, nämlich der Tschernobyl-Katastrophe. Damals war die größte Verunsicherung, dass keiner wusste, wie verstrahlt die Lebensmittel sind, die von irgendwoher in die Läden kommen. Die Gründer von Landwege, die Initiative „Eltern für unbelastete Nahrung“, wollten die Autonomie über die Herkunft der Lebensmittel und ihre Mündigkeit als Konsumenten zurückgewinnen – einfach wissen, woher das Essen kommt. Das oberste Ziel war, unbelastete Nahrung aus der Umgebung in die Stadt zu holen. Neben der Regionalität stand und steht die 100% ökologische Qualität im Mittelpunkt, damit einhergehend, die Förderung von Bio-Höfen und faire Zusammenarbeit. Ganz konkret hieß das im Jahr 2019, dass ein Drittel des Landwege-Umsatzes von rund 15 Millionen Euro zurück in die Region geflossen ist. Die gut 30 Mitgliedsbetriebe der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft kommen zu 90% aus dem unmittelbaren Umland von Lübeck, einem 30 Kilometer Radius.
Die regionale Transformation funktioniert also! Der entscheidende Punkt ist aus unserer Sicht, dass alle in der Wertschöpfungskette ihr Auskommen haben. Keiner in der Genossenschaft kann damit Reichtum anhäufen (und will es auch nicht). Wir bezeichnen unser Modell als „Wertschätzungskette“. Die Werte von damals und die Philosophie eines anderen, Gemeinwohl-orientierten Wirtschaftsdenkens tragen uns und bestimmen unser Handeln. Wir fühlen uns diesen Prinzipien extrem verpflichtet.
Landwege Filiale in Lübeck. Foto: Karin Heinze
Auf welchen Säulen steht das Modell der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft und was trägt zum Erfolg bei?
Tina Andres: Am wichtigsten in unserem partizipativen Ansatz sind die landwirtschaftlichen Betriebe. In regelmäßigen Treffen besprechen wir Strategien und Ziele, diskutieren Bedarfe, Wünsche, Wachstum. Landwege als Vermarktungsstruktur ist kein Selbstzweck, wir definieren uns im Grunde genommen als Hofladen in der Stadt. Die Landwege Märkte bedeuten Absatz und Umsatz für unsere Höfe. Das gemeinsame Gestalten der regionalen Wertschöpfung steht ganz oben. Neben den fünf Landwege-Märkten, haben wir eine Verarbeitungsküche und einen Lieferservice aufgebaut, sowie eine Vollkornbäckerei in Lübeck übernommen, um noch mehr Möglichkeiten zu schaffen. Das verstehen wir weniger als Expansion, sondern als Verdichtung unserer Wertschöpfungskette und sinnvolle Verknüpfung der Warenströme mit der Veredelung.
Die Genossenschaft ist dabei das Rückgrat. Das Unternehmen gehört vielen, der Satzungszweck, die Förderung der ökologischen Landwirtschaft in der Region, ist für uns „Genossen“ bindend. Es bestimmt unser Handeln. Sehr viel stärker als das für einen selbständigen Unternehmer möglich ist.
Die Genossenschaft bringt zudem etliche wirtschaftliche Vorteile: Wir haben ein geteiltes Risiko und eine gute Eigenkapitaldecke, denn seit der Finanzkrise ist es vielen Menschen wichtig zu wissen, was mit ihrem Geld passiert. Die sehr nachvollziehbare Skalierung, die hohe Regionalität und die Bekanntheit der Mitgliedsbetriebe machen uns transparent und glaubwürdig. Es versetzt die Kunden in die Lage, die Herkunft ihrer Lebensmittel zu kennen. Das macht die große Attraktivität unseres Unternehmensmodells für Konsumenten aus, die nicht nur von gesunden Lebensmitteln profitieren wollen, sondern auch vom persönlichen Kontakt zum Bauernhof, von der Erhaltung der Biodiversität in ihrer Region, der CO2-Bindung durch humusreiche Bio-Böden und vielem mehr.
Gemeinsames Gestalten wird bei Landwege groß geschrieben. Kunden und auch ihre Familien, Kinder – die nächsten Generationen – werden einbezogen. Warum?
Tina Andres: Zeitgleich mit der Genossenschaft ist der Verein Landwege entstanden, da der Gedanke der ökologischen Bildung auch von Anfang an eine tragende Rolle gespielt hat. Landwege e.V. zählt heute zu den erfolgreichsten Vereinen für nachhaltige Bildung in Norddeutschland.
Im Rahmen der Vereinsarbeit werden jährlich rund 10.000 Schulkinder aus Lübeck und Umgebung auf „Dem Hof“ ökologisch geschult. Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist gut und der Besuch bei Landwege e.V. ist bei den meisten Schulen fest verankert.
Dennoch würden wir sehr gerne noch stärker am Curriculum mitwirken, weil hier die Basis für eine Ernährungswende gelegt werden kann. Über die Kinder tragen wir ökologische Themen natürlich an die Eltern heran und sorgen mit Sicherheit in vielen Familien für Diskussionen über gutes Essen. Landwege ist wirklich sehr bekannt in den Haushalten. Leider stellen wir auch immer wieder fest, wie wenig Wissen und Bewusstsein in vielen Elternhäusern zum Thema „Woher kommt unser Essen?“ vorhanden ist. Deshalb finden wir, eine systematische Aufklärung kann gar nicht früh genug starten. Landwege betreibt auch zwei Kindergärten – für die ellenlange Wartelisten bestehen.
Kinder lernen auf dem Bio-Feld woher ihr Essen kommt. Foto: Landwege
Kann das Modell Landwege mit seiner starken „regionalen Wertschöpfung“ ein Gegenentwurf zu unserer globalisierten Welt sein und wie kann es weiter Fuß fassen?
Wir bieten einen konkreten Gegenentwurf zur Globalisierung, das kann ich bejahen. Man kann unser Modell nur dezentral denken. Landwege als Franchise ist für mich nicht vorstellbar, weil es einfach vor Ort authentisch gelebt werden muss. Authentizität und Wirksamkeit lassen sich nicht endlos skalieren. Aus meiner Sicht, müssen wir mehr mittelständische Strukturen als Gegenentwurf zur Globalisierung denken und umsetzen. Denn sie sind per se extrem effektiv sowie wertschöpfend, deutlich nachhaltiger und in der Regel sozialer als globale Strukturen.
Tatsächlich wäre es schön, wenn sich Regionalmodelle verbreiten, unser Konzept Satelliten bildet. Das Interesse ist da. Wir werden häufig gebeten, vom Landwege-Konzept zu erzählen und Neugründungen zu begleiten. Tatsächlich stellen wir eine Renaissance des Genossenschaftgedankens fest und eine Reihe von jungen Initiativen, die diese Idee für sich entdecken. Passende steuerliche Anreize könnten hier bei der Umsetzung helfen. Was im Zusammenhang mit Handel – sowohl regional wie global – jedoch ausschlaggebend ist, dass wir zu „wahren Preisen“ für unsere Nahrungsmittel finden, die alle externalisierten Kosten berücksichtigen. Das wäre die Voraussetzung, dass unser Gegenentwurf viel stärker Fuß fassen kann.
Natürlich müssen wir wirtschaftlich arbeiten, aber wir wollen uns nicht in erster Linie mit dem Erreichen von möglichst niedrigen Preisen beschäftigen, sondern mit unseren Werten und einer Agrar- und Ernährungswende.
Ganz grundsätzlich sagt Landwege, wir „handeln“ nicht mit unseren Bauern, sondern nehmen den Preis an, den sie brauchen. Wie schon gesagt, unser oberstes Ziel ist Förderung einer vielseitigen ökologischen Landwirtschaft in der Region auf fairer Basis. Unser Gemeinwohlmodell ist darauf gerichtet, auskömmlich für alle zu sein. Basierend auf Bedarfen, Notwendigkeiten und Vertrauen, handeln wir die Preise mit den Landwirten aus. Entscheidend dabei ist das Selbstverständnis der einzelnen Partner in diesem Wirtschaftsverständnis.
Das stelle ich aber auch immer wieder fest und es erfüllt mich mit Freude: Es ist die Tatsache, dass uns als Bio-Branche, über alles hinweg, der Wille zur Veränderung, zur sozialen und ökologischen Transformation eint.
Zeigt uns die Pandemie wie zukunftsweisend das Nahversorgungsmodell EVG ist?
Tina Andres: Jein. Sicherlich sind 30% der Ware aus der Region eine gute und sehr stabile Basis für die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln. Andererseits würde eine ganze Menge in unserem Sortiment fehlen, wenn wir nichts mehr importieren könnten. Mich hat aber überrascht, wie stark die Menschen während des ersten Lockdowns regionale Lebensmittel nachgefragt haben, obwohl wir zu keinem Zeitpunkt unsere Palette an internationalen Produkten einschränken mussten. Ich habe einen Bewusstseinswandel und eine Rückbesinnung auf Rezepte aus regionalen Zutaten wahrgenommen. Auf jeden Fall sind wir konkurrenzlos was die ökologische Nahversorgung angeht und damit „Pandemie-tauglich“.
Inwieweit ist die Region durch Landwege ökologischer geworden und wird das honoriert – z.B. von der Politik?
Tina Andres: Unser Tun wird sehr stark wahrgenommen. Vielfach ausgezeichnet und als Vorzeigemodell an diversen Stellen benannt, können wir durchaus zufrieden sein. Wir werden zu Beiräten gebeten, auch zu Workshops in denen es überregional um Ökologisierung und Regionalvermarktung geht. Landwege hat ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, das ist sehr erfreulich.
Unser Tun ist unmittelbar wirksam und es wird auch über die Bio-Branche hinaus deutlich honoriert. Wir haben definitiv mehr Bio-Höfe als vor der Gründung von Landwege, einige Betriebe haben auch umgestellt, weil es die Vermarktungsmöglichkeit über Landwege gibt. Die Mitgliedsbetriebe stehen alle wirtschaftlich sehr gut da. Wünschenswert wäre tatsächlich, dies auch in anderen Regionen möglich zu machen.
Von mir kann ich sagen, dass ich zutiefst dankbar bin, für die Genossenschaft arbeiten zu können.
Es ist einfach so sinnvoll und steht für all das, wofür wir uns als Bio-Branche einsetzen, nämlich für einen Kurswechsel und eine wirkliche Transformation, die wir dringend brauchen. Diese geht weit über die Ökologisierung der Landwirtschaft hinaus. Sie stellt auch Fragen zum Miteinander, zum Konsum etc. Der vielfache Verlust von Grenzen beim Konsum ist für mich erschreckend. In der Genossenschaft wird das sehr gesund skaliert, finde ich. Unser Modell ist authentisch, nachvollziehbar, transparent und in den Grenzen unserer globalen Ressourcen darstellbar. Ich bin froh, dass es dieses Modell gibt, aber auch dafür, dass immer mehr Menschen es entdecken, gutheißen und unterstützen. Wir sind als gesamte Branche Transformationstreiber.
Vielen Dank für das Gespräch, Tina.
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