Shaping Transformation. Stronger. Together. Das Schwerpunktthema der BIOFACH/ VIVANESS 2021 eSPECIAL setzt den Fokus darauf, wie verschiedene gesellschaftliche Bewegungen, gemeinsam mit der Bio-Branche, wichtige Nachhaltigkeitsziele noch besser erreichen können. Alle erschienenen Interviews im BIOFACH Newsroom.
Karen Mapusua ist Vize-Präsidentin von IFOAM – Organics International und setzt sich für die Bio-Bewegung auf den Fidischi-Inseln ein. // © Karen Mapusua
Im dritten Interview sprachen wir mit Karen Mapusua über Transformationsentwicklungen an entlegenen Orten dieser Welt wie den Fidschi-Inseln, wo Karen lebt. Seit fast 20 Jahren liegt ihr Schwerpunkt auf der Unterstützung ökologischer Landwirtschaft als Weg zu einer sozialen und wirtschaftlich fairen Entwicklung. Sie ist Mitbegründerin der Pacific Organic & Ethical Trade Community (POETCom) und war maßgeblich an der Entwicklung des Pacific Organic Guarantee Scheme beteiligt.
Karen Mapusua, Sie engagieren sich seit vielen Jahren in verschiedenen Rollen in der Biobewegung, derzeit auf der anderen Seite der Welt, in Fidschi, das hierzulande nur als Ferienparadies bekannt ist. Ist Bio dort ein Thema?
Karen Mapusua: Ja, es ist ein wachsendes Thema. Sowohl bei der Ausweitung der Bio-Flächen als auch beim Konsum. Interessanterweise arbeiten viele Landwirte im gesamten Pazifikraum immer noch weitgehend auf traditionelle Weise, mit geringem Einsatz von Chemikalien, als Selbstversorger oder Semi-Subsistenzbauern. Als die pazifischen Inseln vor etwa 15 Jahren begannen, über biologische Landwirtschaft zu sprechen, war die Antwort vieler Bauern... "Oh, wir sind biologisch!“ Und bis zu einem gewissen Grad stimmt das ja auch. Tatsache ist jedoch, dass es nicht so wahr ist, wie die Leute denken, weil im Laufe der Zeit der Einsatz von Pestiziden gewachsen ist, vor allem bei kommerziellen Kulturen. Deshalb mussten Organisationen wie IFOAM, die mit lokalen NGOs zusammenarbeiten, den Bauern helfen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, was ökologisch wirklich bedeutet und wie es funktioniert. Was wir in den letzten 10 Jahren gesehen haben, ist der ernsthafte Wunsch vieler, zu lernen, wie man ökologisch wirtschaften kann. Das heißt, die Anerkennung der Unterschiede zwischen natürlich-traditionellen und ökologischen Produktionssystemen, die die Zertifizierungsanforderungen erfüllen können, nimmt stetig zu.
Auch die Regierungen haben ein wachsendes Interesse an einem Übergang zur ökologischen Landwirtschaft.
So findet zum Beispiel alle zwei Jahre ein Treffen der Landwirtschafts- und Forstminister der Region statt. Im Jahr 2006 hatte ich das Privileg, an dem Treffen teilzunehmen. Nur eines der 22 pazifischen Länder erwähnte damals den ökologischen Landbau überhaupt. Aber 2018 gaben drei Viertel der Länder dem Biolandbau in ihren Agrarstrategien den Vorrang. Das ist ein riesiger Schritt. Wir haben Bio-Regelungen, die bereits in Kraft oder in Entwicklung sind, und weitere werden folgen. Zudem gibt es ein großes Interesse des öffentlichen Sektors, die Biobranche zu unterstützen.
Was sind die Gründe für diese Veränderung?
Karen Mapusua: Auf der Verbraucherseite gibt es ein wachsendes Bewusstsein und Verständnis dafür, was Bio wirklich ist und was die Vorteile sind.
Die Wende ist auch mit den massiven Gesundheitsproblemen verbunden, die wir im gesamten Pazifikraum haben. Wir haben schreckliche Gesundheitsprobleme wie Herzkrankheiten, Fettleibigkeit und Diabetes.
Samoa hat eine Diabetes-Rate von 40%, hier auf Fidschi haben wir alle 11 Stunden eine Amputation im Zusammenhang mit Diabetes, so die Statistik. Und das bei einer Bevölkerung von nur 800.000 Einwohnern! Menschen und Regierungen erkennen mehr und mehr, dass der Verzehr von guten, gesunden, sauberen, lokalen Lebensmitteln einen großen Unterschied macht. Der ungesunde Lebensstil mit dem steigenden Konsum der "Big 3" Weizen, Mais und Zucker entstand mit der Kolonialisierung und führte zu einer Abkehr von der traditionellen Ernährung. Sie ist viel gesünder, basiert auf Wurzelpflanzen wie Maniok, Taro und Süßkartoffel in Kombination mit Kokosprodukten und Fisch. Es gibt mittlerweile auch eine Diskussion, über die negativen Auswirkungen von Pestiziden. Mit diesem langsam wachsenden Bewusstsein steigt die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln aus heimischem Anbau.
Der lokale NGO-Sektor ist in diesen Fragen sehr aktiv. Aber auch die Ministerien arbeiten hart daran, die Gesundheitskrise in den Griff zu bekommen. Für die meisten von ihnen sind gesunde Bio-Lebensmittel Teil der Lösung. Wir nähern uns dem Thema von allen Seiten.
Meiner Ansicht nach, müssen wir den Zusammenhang zwischen landwirtschaftlichen Praktiken und Gesundheit sowie die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Märkte für lokale Bio-Lebensmittel noch deutlicher machen und voranbringen. In diesem Zusammenhang können wir wirklich froh sein, dass unsere Traditionen sehr gut mit den Prinzipien der Biobewegung übereinstimmen. Wegen der besonderen Situation im Pazifik haben wir zusätzlich zu den vier IFOAM-Prinzipien - Gesundheit, Fairness, ökologisches Gleichgewicht und Pflege - noch Kultur und Tradition in den Standards hier verankert.
Starke Interessensgemeinschaft. @Organic Pasifica
Wie Sie bereits sagten, bietet die biologische Landwirtschaft wichtige Lösungen für viele der drängenden Probleme unserer Zeit. Welche Beiträge können Sie mit Ihrer Arbeit und gemeinsam mit Ihrem Netzwerk konkret leisten?
Karen Mapusua: Bei einem Großteil unserer Arbeit geht es darum, nicht nur Zugang zu Märkten, sondern auch zu sozialen Einrichtungen und Dienstleistungen für Bauernfamilien zu schaffen. Wir haben große Gebiete in der gesamten Region, in denen die Stromversorgung eingeschränkt oder die Infrastruktur schlecht ist, und selbst der Zugang zu Bildung wird durch die Entfernung, die schlechten Verkehrsverbindungen usw. beeinträchtigt. Fidschi hat 300 Inseln - etwa 100 sind besiedelt - wie können wir dort Dienstleistungen für alle anbieten? Es gibt hier den Spruch "Poverty of Opportunities" (Armut an Möglichkeiten). Das hängt mit unserer abgeschiedenen Lage zusammen, aber auch mit den sehr begrenzten Möglichkeiten, ein Bareinkommen zu erzielen. Wissen Sie, hier braucht niemand zu hungern, aber es gibt einige unserer Inselstaaten, die von den Vereinten Nationen als "unterentwickelte Länder" eingestuft werden.
Wir haben unsere Herausforderungen. Doch wir suchen nach Wegen, wie die Chancen, die die ökologische Landwirtschaft bietet, dazu beitragen können, diese Probleme zu bewältigen. Dazu gehört es, Wege zu finden - durch Politik, Initiativen, Eigenverantwortung und Engagement - um landwirtschaftliche Traditionen zu unterstützen und zu fördern und sie für die Gesundheit aller weiterzuentwickeln.
Die aktuellen Herausforderungen rufen den Menschen vielleicht in Erinnerung, wie wichtig gute Nahrung und Ernährungssicherheit sind.
Gerade zu Beginn der COVID-Pandemie hat ein Zyklon die Insel Vanuatu sehr schwer getroffen. Interessanterweise führte der Lockdown wegen COVID dazu, dass Vanuatu auf seine internen Ressourcen zurückgreifen musste und die traditionellen, überwiegend ökologischen Systeme der Nahrungsmittelproduktion für den Wiederaufbau einsetzte. Die Regierung von Vanuatu und die Gemeinschaft haben eine erstaunliche Arbeit geleistet: Sie haben die lokalen Praktiken genutzt, um die Notversorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen und es ist gelungen mit Hilfe der Wiederherstellung der wichtigsten traditionellen Nutzpflanzen. Für mich zeigt dies, was wir tun können und dass wir ein hohes Maß an Resilienz auf der Basis lokaler Lösungswege haben. Wir brauchen nicht immer auf Hilfe von außen warten. Ich hoffe, dass dieses neue Selbstvertrauen auch dazu beitragen wird, die ökologische Nahrungsmittelproduktion anzukurbeln. Manchmal können Lösungen sehr einfach sein.
Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Pandemie noch?
Karen Mapusua: Die Auswirkungen der Gesundheitsprobleme auf der einen und der Shutdown durch COVID-19 auf der anderen Seite haben enorme Auswirkungen auf die Inseln gezeigt. Mit dem Zusammenbruch des Tourismussektors gibt es noch weniger Möglichkeiten, Einkommen zu erzielen. Die meisten Inselstaaten haben keine offizielle Sozialversicherung. Traditionell kümmern sich die Großfamilienstrukturen um die Familienmitglieder. Wenn jedoch viele Familienmitglieder ohne Ressourcen aus den Städten in die Dörfer zurückkehren, kann das zu Problemen führen.
Deshalb ist es so wichtig, passende Strukturen für die Erzeugung von Bio-Lebensmitteln und auch den Zugang zu Märkten aufzubauen. Es ist eine ziemliche Herausforderung, die Wertschöpfungskette von den ländlichen Gebieten in die Städte zu organisieren, in denen Bio-Lebensmittel stärker nachgefragt werden.
Hinzu kommt eine große Unsicherheit, denn niemand weiß, wie die neue Normalität nach der Pandemie aussehen wird. Eine positive Gewissheit ist jedoch, dass fast jeder Einwohner Zugang zu familieneigenem Land hat. Aber wie überall auf der Welt haben wir auch hier eine alternde bäuerliche Bevölkerung, und die Menschen ziehen aus den ländlichen Gebieten in die städtischen Zentren.
Das bäuerliche Leben muss attraktiver werden.
Die weltweite Bio-Bewegung arbeitet seit langem auf eine Transformation des bestehenden Agrarsystems und eine Ernährungswende hin. Inwieweit können wir in den westlichen Volkswirtschaften von Modellen aus Ihren Breitengraden lernen?
Ich denke, wir haben eine Menge Wissen, das wir teilen können. Unser traditionelles Anbausystem basiert auf Agroforstwirtschaft, ist sehr widerstandsfähig, sehr vielfältig und ein wahrer Schatz an tiefem Wissen über den Wert und sogar die Heilkraft von Pflanzen und verschiedenen traditionellen Nahrungsmitteln.
Ein Teil ist verloren gegangen, aber ich bin sicher, dass es eine echte Chance gibt, etwas davon wiederzubeleben. Es gibt noch eine andere Sache, die ich großartig finde, und das ist unser Konzept des Landzugangs. Es gibt kein Eigentum im europäischen Verständnis, sondern eher eine Patenschaft (Treuhänderschaft) für Land. Eine Großfamilie ist der Hüter eines Stück Landes, und Land in traditionellen Besitzverhältnissen kann nicht gekauft oder verkauft werden. Das bringt eine Anerkennung der Bedeutung und des Wertes von Land mit sich, da wir über Generationen hinweg, für dieses Land verantwortlich sind.
Ebenfalls traditionell ist die allgemeine Vorstellung vom hohen Wert des Waldes. Wenn wir von belastbarer oder klimaintelligenter Landwirtschaft sprechen, dann können wir dies in unseren traditionellen agroforstwirtschaftlichen Systemen hier finden. Sehr interessant ist auch das System der "Tabu"-Flächen, die für eine gewisse Zeit nicht von Menschenhand berührt werden dürfen, um sich zu regenerieren - das gilt sowohl für das Land als auch für das Meer.
In den letzten 15 Jahren hatten die Organisationen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, einen sehr starken Schwerpunkt auf gemeinschaftlich verwaltete Gebiete gelegt, und ich bin sehr glücklich, dass wir diese Strukturen parallel zur demokratischen Politik haben.
Leider haben wir aber auch große Probleme mit Plastik an unseren Küsten, und natürlich auch mit dem Klimawandel. Obwohl wir weltweit die kleinsten CO2-Emittenten sind, werden wir die ersten sein, die mit dem Anstieg des Meeresspiegels untergehen - aber wir arbeiten hart daran, unsere Ernährungs- und Landwirtschaftssysteme widerstandsfähig zu machen und auf unseren Inseln bleiben zu können. Es gibt einen Spruch: Wir ertrinken nicht, wir kämpfen!
Unsere Regierungen arbeiten erfolgreich an der Lösung des Plastikproblems, indem sie auf einigen Inseln die Einfuhr und die Verwendung von Plastiktüten, Trinkhalmen und Styroporbehältern verbieten, aber es gibt immer noch eine Menge Plastikabfälle aus der ganzen Welt an unseren Stränden. Und wir haben das Great Pacific Garbage Patch, und in unseren Fischen wird Mikroplastik gefunden, was Anlass zu großer Sorge gibt.
Transparenz spielt für viele Verbraucher eine immer größere Rolle. Längst achten Biobauern zusammen mit Herstellern und Händlern auf die Wertschöpfungskette vom "Feld bis auf den Teller". Gibt es diesbezüglich Auswirkungen auf Fidschi?
Karen Mapusua: Ja, in der Zeit vor COVID war der Tourismus enorm einflussreich. Touristen setzen Trends, und natürlich gibt es auf den Inseln ein Interesse daran, die Wünsche der Gäste rund um biologische und lokale Lebensmittel zu erfüllen. In Hotels und Restaurants sehen wir, wie lokale und biologische Produkte gekennzeichnet und beworben werden. Abgesehen von einigen Kokosnussprodukten werden auf den Inseln nicht viele Bio-Lebensmittel hergestellt, die meisten Bio-Produkte werden importiert. Aber Feldfrüchte von den Inseln werden frisch auf den Märkten gehandelt oder direkt geliefert. Wenn Sie Ihren Bauern oder Ihre Bäuerin kennen, vertrauen Sie ihm oder ihr.
Es gibt einige Restaurants und Geschäfte, die Bio-Lebensmittel anbieten und mit dem Konzept "vom Acker bis auf den Teller" arbeiten, und sie laufen wirklich gut.
Natürlich nutzen einige Produzenten den Claim "Bio" für ihre Zwecke, da sie eine steigende Nachfrage nach gesunden, transparenten, sauberen Lebensmitteln erkennen. Unsere Aufgabe ist es, den Verbraucher aufzuklären, damit er die richtigen Fragen stellt, nach Zertifizierungszeichen sucht und nicht jedem Marketing-Slogan glaubt.
Karen Mapusua hat sich mit Ihrer Arbeit in Fidschi große Anerkennung verdient. @Organic Pasifica
Als weltweite Dachorganisation ist IFOAM für viele Bauern rund um den Globus wegweisend. Da Sie international tätig sind, können Sie die besonderen Bedingungen im Pazifikraum mit anderen größeren Ländern vergleichen. Wie kann der globale Wandel zu einer nachhaltigeren und ökologischeren Welt gelingen?
Karen Mapusua: Wir als IFOAM - Organics International mit unseren Mitgliedern auf allen Kontinenten haben wirklich eine wichtige Rolle, um globale Basisstandards für den ökologischen Landbau zu setzen, sie entsprechend den lokalen Bedürfnissen weiterzuentwickeln und auch mit gleichgesinnten Organisationen in Verbindung zu treten. Ich denke dabei an Organisationen mit ähnlichen Zielen im NGO-Sektor, aber auch im wissenschaftlichen und technischen Bereich. Gemeinsam können wir ökologische Praktiken als Teil der Lösung einer zukünftigen ökologischen landwirtschaftlichen Entwicklung verankern.
Die Pazifikregion hat diesbezüglich eine sehr starke Botschaft: Ökologische Landwirtschaft ist ein Instrument, das unserer Umwelt, unserer Wirtschaft, unserer Beschäftigung und unserer Gesundheit helfen kann. Sie präsentiert den ökologischen Landbau wirklich als eine Lösung für viele unserer Herausforderungen. So können alle Interessenvertreter des Nachhaltigkeitsnetzwerks rund um den Globus einen mehrgleisigen Vorstoß zu diesen großen Themen unternehmen und einen großen Fortschritt erzielen.
Das Interview führte Karin Heinze, BiO Reporter International per Video-Schalte.
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